Von kranken und gesunden Adipösen
Übergewicht und Adipositas sind dadurch gekennzeichnet, dass die körpereigene Fettmasse erheblich ansteigt. Damit entwickeln sich Funktionsstörungen des Fettgewebes, die wiederum wesentlich an der Entstehung von den Begleit- oder Folgeerkrankungen beteiligt sind. Im Vordergrund steht dabei die Entwicklung eine Typ 2-Diabetes. Adipositas mit einem BodyMassIndex oberhalb von 30 kg/m2 gehört zu den wichtigsten Gesundheitsrisiken der modernen Zeit. Immerhin befinden sich in diese Risikogruppe bereits 20 Prozent der Gesamtbevölkerung. Damit ist immer eine Verkürzung der Gesamtlebenszeit verbunden, weil nicht nur der Diabetes zu nachhaltigen Schäden im Herz-Kreislaufsystem führt, sondern auch erhöhter Blutdruck, koronare Herzkrankheit und Herzinfarkt, Schlaganfall oder Krebserkrankungen können das Leben des übergewichtigen Kollektivs bedrohen.
Lange Zeit ist man davon ausgegangen, dass es sich bei dem Fettgewebe um ein Speicherorgan handelt, in dem überflüssiges Fett gelagert wird. Inzwischen ist bekannt, dass dieses Gewebe weit davon entfernt ist ein Reservepool für schlechte Zeiten zu sein, sondern dass es eine Vielzahl unterschiedlicher Hormone freisetzt. Damit wird das Fettgewebe zu einem komplexen, hochaktiv endokrinen und metabolisch wirksamen Organ. Bioaktive Peptide wie die sogenannten Adipokine werden freigesetzt, die sowohl lokale als auch endokrin-systemische Auswirkungen aufweisen. Mit den Vorgängern der Fettzellen, den Präadipozyten und den Fettzellen selbst (Adipozyten) bilden Bindegewebszellen, Zellen der Blutgefäße (endothel- und glatte Muskelzellen), Nervenfasern und die unterschiedlichsten Zellen des Immunsystems eine funktionelle Einheit.
Warum sich bei manchen Menschen eine Adipositas ausbildet und bei anderen nicht, ist häufig eine Frage der genetischen Ausstattung, die der Mensch mit auf die Welt bringt. Es spielt aber auch eine Rolle, welche Verhaltensmuster von den Eltern auf die Kinder übertragen werden (Vorbildfunktion). Die angelernten Lebensgewohnheiten sowie unterschiedliche Umwelteinflüsse spielen eine wichtige Rolle bei der Gewichtsregulierung.
Am besten beeinflussbar sind die hyperkalorische Ernährung und der Bewegungsmangel, der viele Adipöse kennzeichnet. Das dadurch angesammelte viszerale Fettgewebe (Bauchfett/abdominelles Fett) zeigt einen engen Zusammenhang seiner Masse mit unterschiedlichen Symptomen des metabolischen Syndroms. Dazu gehört die Insulinresistenz als Vorläufer eines manifesten Diabetes, der Bluthochdruck, das Übergewicht und weitere Störungen der Gesundheit.
Das von zu hohen Fettmassen ausgehende Risiko kann am einfachsten mit einem Maßband gemessen werden, das den Bauchumfang feststellt. Auch die Hautfaltendicke gibt Auskunft über die Risiken der adipositas-assoziierten Begleit- und Folgeerkrankungen.
Es steht daher außer Frage, dass die Betroffenen unbedingt ihr Gewicht reduzieren sollten, und zwar vor allem das abdominelle Fettgewebe sollte abgebaut werden. Dieses ist nämlich verantwortlich für eine chronisch-systemische Entzündung, bei der die endokrine Funktion der Fettzellen eine wichtige Rolle spielt. Adipokine und Zytokine sind die endokrinen Verursacher, sie werden vermehrt freigesetzt und bahnen den Weg zu einer Atherosklerose der Gefäße und tragen zur Bildung freier Radikale bei. Auch stetiger und hoher Stress im Alltagsleben haben offenbar Anteil an der Fehlregulierung des viszeralen Fettgewebes. Sie erhöhen ebenfalls die freien Radikale und damit den Sauerstoffstress der Zellen, was dazu führt, dass endogene Reparaturmechanismen auf den Plan gerufen werden.
Es gibt noch immer Rätsel bei der Bewertung der Adipositas für das Risiko der Begleit- und Folgeerkrankungen. Während bei den meisten Adipösen die Insulinresistenz, der Diabetes, der Bluthochdruck und die Atherosklerose die Gesundheit des Individuums bedrohen, sind andererseits aber 15 Prozent der durchaus adipösen Personen offenbar vor der Entwicklung solcher krankmachender Symptome geschützt. Weil sie kaum als Risiko für Begleiterkrankungen haben, können sie auch nicht durch Gewichtsreduktion ihre Gesundheit verbessern. Es gilt für die Wissenschaft und medizinische Praxis, diese Personen zu identifizieren, die keinen Vorteil von einer Gewichtsreduktion haben und von solchen zu differenzieren, die dringend einer gewichtsreduzierenden Therapie bedürfen, um gesund zu bleiben.