Unsitte mit verheerenden Auswirkungen
Bundesweit sind in Deutschland die Zahlen der übergewichtigen Kinder um 50 Prozent angestiegen seit den neunziger Jahren. Das sollte Eltern, Lehrer und die Politik aufhorchen lassen, weil die gesundheitlichen Folgen absehbar sind. Immer mehr dieser Kinder leiden bereits unter Bluthochdruck, an Glukose– oder Fettstoffwechselstörungen, es drohen Gicht und Typ 2-Diabetes. Solche Erkrankungen waren zuvor dem Kollektiv der Erwachsenen im höheren Lebensalter vorbehalten. Das Abweiden der Snack- und Softdrink-Anbieter in Einkaufszentren ist besonders beliebt bei Kindern und Jugendlichen, die sich dort am frühen Nachmittag treffen, und unbeschwert die allgegenwärtigen Pizza- , Curry-oder Bratwurst-Buden besuchen, die anschließend noch eine süße Waffel, ein buntes Muffingebäck oder eine üppige Portion Eiscreme konsumieren, bevor sie sich auf den Weg nach Hause machen, wo das Abendessen auf sie wartet.
Die verheerenden Auswirkungen dieser Unsitte sind absehbar: Fettmassen sammeln sich am Bauch und den Oberschenkeln der Kinder an, das fröhliche Hüpfen, Springen oder Laufen von Kindern verändert sich zu beschwerlichem Gehen.
Früher oder später werden diese Kinder zu Patienten von Internisten, Orthopäden und Lungenärzten. Bekannt wurde der jüngste Altersdiabetiker in Leipzig; ein fünfjähriger Junge mit 50 kg Körpergewicht und Typ 2-Diabetes.
Kinder und die meisten Erwachsenen lieben Süßes – manche präferieren zuckerhaltige Lebensmittel und gewichtsbewusstere Menschen die Verwendung von kalorienreduzierendem Süßstoff. Weder der Zucker noch der Süßstoff haben heutzutage ein besonders gutes Image. So steht der Zucker im Verdacht, Übergewicht, Adipositas, Herz-Kreislauferkrankungen und andere Diagnosen zu begünstigen. Die Zuckerindustrie und andere Interessengruppen wollen das Problem weniger bei der Zuckerzufuhr sehen und machen die allgemeine Überernährung für die konstant fortschreitende Gewichtszunahme in der Bevölkerung verantwortlich.
Auch dem Süßstoff werden krankmachende Eigenschaften nachgesagt, für die ein belastbarer wissenschaftlicher Beweis bisher nicht geführt werden konnte. Die ins #Feld geführten Studien und die stetig wiederholten Parolen in den Medien zur schädlichen Wirkung oder Süßstoff fußen oft auf persönlichen Meinungen und dem angesagten Trend. Konkrete und praktizierbare Antworten zu maßvoller Ernährung und mehr körperlicher Aktivität zur Gewichtsregulierung könnten die noch immer ungeklärten Fragen im interdisziplinären Austausch aufklären.
Vor allem sollte die Politik daran teilnehmen, deren Gewissenskonflikt darin besteht, die Lebensmittelindustrie als enormen Wirtschaftsfaktor zu schützen, die immer dicker und kränker werdende Bevölkerung aber nur halbherzig wahrnimmt. Die körperliche und seelische Gesundheit gehört zur gesellschaftspolitischen Verantwortung der Regierung. Die epidemisch steigenden Zahlen der Menschen mit Übergewicht – von denen inzwischen schon mehr als die Hälfte der Bevölkerung betroffen ist – brauchen ebenso wie zur besseren Bildung einen starken Impuls aus der Politik. Wird diese politische Verantwortung vernachlässigt, wird die Zahlen derer steigen, denen mit dem Attribut „dick und dumm“ eine Stigmatisierung und enorme Nachteile im gesellschaftlichen und beruflichen Alltag das Leben schwer machen.