Übergewicht ist assoziiert zu divergierender Hirnstruktur
Die Neurophysiologie beschäftigt sich zur Zeit mit klinischen Studien zum Verhalten der Menschen, die mit einer Veränderung in definierten Hirnregionen einhergehen. So konnte in neuesten bildgebenden Befunden nachgewiesen werden, dass sich bei Übergewichtigen das belohnungsrelevante Verhalten und besondere Hirnregionen verändern.
Dies sind diejenigen Areale, die nicht nur über das Essverhalten, sondern auch über den Erfolg von Diäten Auskunft geben. Die aktuellen Ergebnisse der Übergewichtsforschung werden auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für klinische Neurophysiologie in Leipzig im März vorgestellt. Dabei wird auch eine neurophysiologische Erklärung dafür diskutiert, warum es übergewichtigen Frauen schwerer fällt als normalgewichtigen Frauen, z.B. einem Stück Schokolade zu widerstehen.
Daraus lässt sich eventuell ableiten, warum heutzutage mehr als ein Drittel der bundesdeutschen Bevölkerung als übergewichtig und ein Fünftel sogar als adipös eingestuft werden muss. Noch immer werden viele Übergewichtige diskriminiert und für ihr Körpergewicht selbst verantwortlich gemacht. „Inwieweit die mangelnde Gewichtskontrolle in der Eigenverantwortung der Betroffenen zu suchen ist, liegt noch weitgehend im Dunkeln. In einigen Studien wir der Nachweis geführt, dass familiäre oder genetische Veranlagungen zu übermäßigem, unkontrollierten Essen führen können, so Privatdozent Dr. Burkhard Pleger von der Tagesklinik für kognitive Neurologie an der Universität Leipzig. Die Hirnregionen, die für Belohnung verantwortlich und am Essverhalten beteiligt sind, zeigen eine divergente Struktur im Vergleich zu Normalgewichtigen. Gegenstand der Forschung wird es sein zu ergründen, ob diese Veränderungen aus der unkontrollierten Nahrungsaufnahme resultieren oder ob sie einer genetischen Veranlagung geschuldet sind.
Bei genauerer Beobachtung dieser Hirnregionen sehen die Forscher auch geschlechtsspezifische Unterschiede. Mit zunehmendem Körpergewicht wird bei Frauen eine Veränderung in der Hirnregion gesehen, die für automatische und zielgerichtete Verhaltenskontrolle zuständig ist. Die übergewichtigen Frauen präferieren in Verhaltensstudien kurzfristige Belohnungen, auch wenn diese mit negativen Konsequenzen besetzt sind. Dies ist bei Männern nicht zu beobachten, so Dr. Annette Horstmann, Neurobiologin am Max-Planck-Institut für Kognition und Neurowissenschaften. Die Größendifferenz der Hirnareale lässt vermuten, dass Frauen eine sehr viel stärke Willenskraft aufbringen müssen, um das eigene Verlangen nach Essen zu regulieren. Diese Erkenntnisse sind durchaus auch als Erklärung geeignet, warum bei vielen Übergewichtigen die unterschiedlichsten Diäten zu keinem Erfolg führen.
Insofern wird spekuliert, ob Übergewicht und Adipositas vergleichbar ist mit Suchterkrankungen, mit überstarkem Verlangen und mangelnder Selbstkontrolle mit dem Bedarf nach immer größeren Nahrungsmengen. Daraus resultiere die Wahl einer kombinierten Therapie aus psychologischer Begleitung in Kombination mit der Ernährungsaufklärung und Ernährungsumstellung. Das bedeutet vor allem, jede Therapie des Übergewichts oder der Adipositas an die individuellen Probleme der Betroffenen anzupassen. Die neurophysiologische Forschung kann dazu einen wesentlichen Beitrag leisten, so Pleger.