Pflanzen als adjuvante Diabetestherapeutika
Traditionell und auch in diesem Jahr wieder bei allerbestem Sommerwetter kamen Experten und Betroffene sowie deren Angehörige im Diabetes-Garten des ehrwürdigen Krankenhaus Sachsenhausen in Frankfurt zusammen, um die gesundheitsfördernden Möglichkeiten der Natur kennen zu lernen.
Der erste therapeutischen Schritt bei diabetischer Stoffwechselsituation ist die nachhaltige Veränderung des Lebensstils, sagte Professor Kristian Rett, Chefarzt der Endokrinologie und Diabetologie im Sachsenhäuser Krankenhaus. Mit allen Sinnen hörten die anwesenden Diabetiker seine Ausführungen, die sahen die prächtig wachsenden Pflanzen in den unterschiedlichen Themenbeeten, und freuten sich am Duft der unterschiedlichen Kräuter dieser Naturapotheke. Auch wenn diese nicht die Medikamente gegen Diabetes ersetzen können, enthalten doch manche Pflanzen die Ausgangssubstanz, die in einem oralen Antidiabetikum synthetisch zur Senkung der Blutzuckerspiegel verwendet wird.
„In der Tradition Carl von Noorden´s, dem Urvater dieser Klinik und Erfinder der Broteinheit, werden die großartigen Konzepte auch heute noch angewendet, werden beweisgestützte Medizin (wie er die Schulmedizin nennt) und Pflanzenheilkunde zusammengeführt“, so Rett. Unter standardisierten klinischen Bedingungen werden die Patienten in Sachsenhausen an die Heilkräuter und Gemüsepflanzen herangeführt (wohl auch an die körperliche Aktivität im Garten, wie Rett einräumt ).
In insgesamt fünf Beeten wurden Pflanzen gesetzt, die gegen unterschiedliche Erkrankungen wirksam sind. Vor allen diejenigen Pflanzen, die „den Zucker zähmen“ liegen Hans Lauber am Herzen und er schildert enthusiastisch die botanische Zugehörigkeit und die therapeutische Wirksamkeit der Pflanzen. Diabetes und Übergewicht fördern unterschiedliche Begleiterkrankungen, denen mit pflanzlichen Inhaltsstoffen entgegengewirkt werden kann, sagte Lauber unter Hinweis auf Pflanzen, die schlank machen. Dazu gehört die Artischocke, die zu den Distelgewächsen gehört, die die Fettverdauung unterstützt und die Leberfunktion fördert.
Die Verdauungssäfte werden durch Bitterstoffe angeregt, die auch in Endiviensalat enthalten sind. Ballaststoffe die unter ihrem neuen Namen „pflanzliche Nahrungsfasern“ eine Verbesserung des diabetischen Stoffwechsels bewirken, liefert die Erdmandel, die jedes Müsli bereichert und die Topinamburknolle, die sowohl im Salat, als auch als Kartoffelersatz eine gute Figur macht.
Das Inulin des Topinambur, chemisch eine sogenannte Polyfruktose, beeinflußt wie der Bockshornklee sowohl die Darmflora, als auch den Glukosespiegel günstig. Ebenso liefern Fenchel und Leinsamen pflanzliche Nahrungsfasern. Löwenzahn unterstützt die Funktion der Bauchspeicheldrüse und Stevia gilt als sanfte Alternative zu synthetischem Süßstoff. Diabetiker mit Übergewicht oder Adipositas leiden unter einer chronischen Entzündung, die wiederum mit dem in der Goldrute enthaltenen „Pflanzlichen Aspirin“ entgegengewirkt werden kann. Ebenso gehört der Holunder in die Gruppe der Entzündungshemmer, weil dessen Blätter, die Rinde, der Stamm und die Wurzel entzündungshemmende und fiebersenkende Inhaltsstoffe aufweisen.
Flavonoide und eine Vielzahl sekundärer Pflanzenstoffe gegen Entzündungen finden sich auch in schwarzen Johannisbeeren, die Kamille ist seit Jahrhunderten als Mittel gegen Schleimhautentzündungen und Wundheiler bekannt, der Spitzwegerich stärkt das Immunsystem und dämpft den Hustenreiz. Als wahrer Keim-Killer ist Thymian bekannt, weil krampflösende Öle wie Thymol das Wachstum von Bakterien und Viren hemmen.
Als unglaubliche Vitaminbombe bezeichnet Lauber die Wildkräuter mit ihrem hohen Anteil an sekundären Pflanzenstoffen, die jeden Salat zum Gesundheitserlebnis machen. Aloe vera, die Bittergurke und der Bockshornklee weisen durchaus blutzuckersenkende Eigenschaften auf und die Geißraute enthält mit Metformin vergleichbare Stoffe. Allerdings rät Lauber wegen gravierender Nebenwirkungen von einer therapeutischen Einsatz der Geißraute ab.
Dass Wein offensichtlich den Zucker zähmt, indem die Insulinwirkung verbessert wird, wird von Professor Kristian Rett unterstrichen. Bei klinisch festgestelltem Diabetes sind die modernen Arzneimittel wie Metformin, SGLT2-Hemmer oder Insulin nicht durch Pflanzen zu ersetzen. Die Phytotherapie kann jedoch unterstützend eingesetzt werden, um Medikamente einzusparen, das Immunsystem zu kräftigen, die Ernährung, die Gewichtsregulation und die Gesundheit der Betroffenen zu verbessern. -eb-