Keine Frage des Charakters – Adipositas ist eine Krankheit
Die Mehrzahl der Deutschen hält Dicke für undiszipliniert, maßlos und selbst Schuld an ihren zusätzlichen Pfunden. Zu diesem Ergebnis kommt eine repräsentative forsa-Umfrage (1), die die Adipositas Stiftung Deutschland am Donnerstag in Berlin diskutiert hat.
Unter dem Motto „Keine Frage des Charakters – Adipositas ist eine Krankheit“ hatte die Stiftung zu einem Media-Roundtable geladen, um die Vorurteile gegenüber übergewichtigen und adipösen Menschen in der Gesellschaft zu korrigieren und mit Experten sowie Betroffenen konkrete Hilfestellungen zu diskutieren. „Adipositas ist eine Krankheit und darf von der Gesellschaft nicht länger als rein ästhetisches Problem abgetan werden“, forderte auch Ernährungsmediziner Professor Dr. Stephan Jacob, zweiter Vorsitzender der Adipositas Stiftung Deutschland sowie Diabetologe und Endokrinologe.
Gutes Fett, schlechtes Fett
Mittlerweile gilt jeder zweite Deutsche als zu dick, jeder fünfte als extrem übergewichtig. Die Zahl der Übergewichtigen hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren verdreifacht. Eine mehr als alarmierende Nachricht, da die gesundheitlichen Folgen von extremem Übergewicht – auch Adipositas genannt – schwerwiegend sind. Denn schon bei einem Body-Mass-Index (BMI) von 30 besteht ein erhöhtes Krebsrisiko. Krebsarten wie Brust-, Uterus-, Darm- oder Speiseröhrenkrebs etwa sind zu 15 bis 45 Prozent direkt dem starken Übergewicht zuzuschreiben. Auch sind Adipöse dreißigmal so stark gefährdet, an Diabetes zu erkranken, wie Normalgewichtige. Besonders gefährlich ist dabei das viszerale Fett. Anders als das subkutane Fettgewebe, das direkt unter der Haut liegt und als Energiereserve dient, versteckt sich das viszerale Fett im Bauchraum. Professor Dr. Stephan Jacob: „Das viszerale Fett produziert zahlreiche entzündungsfördernde Substanzen und andere Signalstoffe, die hauptverantwortlich sind für eine Vielzahl von schweren Folgeerkrankungen wie Herzinfarkte und Schlaganfälle.“
Fünf bis zehn Prozent für mehr Gesundheit
Den meisten Übergewichtigen kann durch gezielte Aufklärung und Unterstützung geholfen werden. Das unterstrich auch Oliver Welchering auf dem Media-Roundtable. Der 37-Jährige war selbst adipös und hat mithilfe einer Magenbypass-Operation 80 Kilo abgenommen. „Adipositas ist eine komplexe Krankheit und es ist schwer, wirkliche Hilfe zu bekommen. Verständnis und Empathie sind eine bessere Motivation beim Abnehmen als Diskriminierung“, so Welchering. Nur wenige wissen, dass bei Übergewicht bereits die Reduktion von fünf bis zehn Prozent des eigenen Körpergewichts die Gesundheit deutlich verbessern kann. Die Berliner Apothekerin Johanna Jäger ergänzte hierzu: „Neben ausgewogener Ernährung und mehr Bewegung können auch Arzneimittel, die zum Beispiel den Wirkstoff Orlistat enthalten, Unterstützung bei einer gesunden und nachhaltigen Gewichtsreduktion bieten.“ Hierzu sollten sich Abnehmwillige stets individuell von ihrem Arzt oder Apotheker beraten lassen.
Nicht zuletzt ist Adipositas auch ein gesundheitsökonomischer Faktor. Die langwierigen und dadurch kostspieligen Behandlungen von Folgeerkrankungen können in vielen Fällen durch Aufklärung und Prävention vermieden werden.
Erster Europäischer Tag zur Bekämpfung der Adipositas
Anlass für den Roundtable war der erste Europäische Tag zur Bekämpfung der Adipositas am 22. Mai. Dieser von nun an jährlich stattfindende Aktionstag ist eine Initiative des Europaparlament-Mitglieds Magor Imre Csibi, des britischen National Obesity Forum und des BOLD (Belgischer Verband für fettleibige Patienten). Ziel ist es, auf die Bedürfnisse von Übergewichtigen und Adipösen aufmerksam zu machen und die Wahrnehmung von Adipositas als Krankheit in der Gesellschaft zu etablieren. Auch sollen Übergewichtige bei der Änderung ihres Lebensstils mehr unterstützt und ihre Interessen bei politischen und gesetzlichen Entscheidungen stärker berücksichtigt werden. Weitere Informationen zur Initiative gibt es unter www.adipositas-stiftung.org sowie www.obesityday.eu. Letztere bietet ebenfalls die Möglichkeit, durch Teilnahme an einer Petition selbst aktiv zu werden.
(1) Umfrage unter 1.006 Bundesbürgern ab 18 Jahren, forsa 2010