Ist der Sollwert bei Adipösen verstellt, besteht ein lebenslanges Problem
Bei einer Adipositas handelt es sich keinesfalls um eine Essstörung, sondern um eine eigenständige Erkrankung, bei der die körpereigene Physiologie gegen das Abnehmen ankämpft. Unabhängig davon, wie eine Adipositas entstanden ist, wird jedes Gramm zugenommenen Körpergewichts für immer verteidigt durch die physiologischen Mechanismen.
Dabei spielt das Fettgewebe eine wichtige Rolle, von dem Entzündungs- und Botenstoffe freigesetzt werden. Die Hormone Leptin und Ghrelin senden ihre Signal ans Gehirn, und dort werden aufgrund der signalisierten Mangelsituation der Stoffwechsel und die Thermogenese auf Sparflamme geschaltet, sagte Professor Aria Sharma aus Edmonton/Kanada, anlässlich einer Fachpressekonferenz von Novo Nordisk anlässlich der Obesity Days in Frankfurt. Er zitierte eine australische Studie, in der ein Jahr nach erfolgreicher Gewichtsreduktion die veränderten Leptinspiegel noch nachgewiesen wurden. Andere Untersuchungen belegen, dass auch nach sechs Jahren der Stoffwechsel noch reduziert arbeitet. Aufgrund dessen ist ein erneuter Gewichtsanstieg physiologisch programmiert und wird konstant begünstigt.
Jeder Mensch kann erfolgreich abnehmen, so die gängige Meinung der Ärzte, die auch in der Bevölkerung vertreten wird und zur Stigmatisierung der Übergewichtigen und Adipösen beiträgt. Die Auswertung einer kanadischen Untersuchung zeigt deutlich, dass 95 Prozent der Menschen an einer effektiven, nachhaltigen Gewichtsreduktion scheitern und das Ausgangsgewicht wieder erreichen, es vielfach sogar überschreiten. Das spiegelt den bekannten Jo-Jo-Effekt wider.
Im kanadischen National Weight Registry sollten Probanden nach der Gewichtsabnahme 12 Monate lang ihr erzieltes Körpergewicht halten. Der sehr geringe Anteil, dem diese Anstrengung gelingt, nimmt täglich nur 1.400 Kalorien auf und geht extrem sportlichen Aktivitäten nach, sagte Sharma. Das entspricht einer immerwährenden Disziplinierung, die kaum zumutbar ist und realitätsfremd ist.
Während bestimmte Laborwerte, etwa für Kalium und Natrium vom Säuglings- bis zum Seniorenalter konstant bleiben, befinden sich Übergewichtige und Adipöse auf einer Einbahnstraße: der Sollwert für Körpermaße ist ausschließlich auf Wachstum angelegt, so Sharma. Mit dem konstantem Gewichtsanstieg vermehrt sich die Kapillardichte des Gewebes und die Cytoarchitektur der Zellen zeigt Anzeichen einer Gliosis, was einer funktionseinschränkenden Narbenbildung entspricht.
Es sind effektive Therapiemaßnahmen für Menschen mit Übergewicht und Adipositas erforderlich, um die weltweit ansteigende Epidemie sowie die mit Adipositas assoziierten Erkrankungen wirksam zu bekämpfen, sagte Sharma. Schon fünf bis zehn Prozent Gewichtsverlust zeigen positive Auswirkungen auf die Gesundheit. Durchgeführt wird ein Basisprogramm aus Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapie, das aber nur bei wenigen Menschen eine nachhaltige Gewichtsreduktion erzielt. Chirurgische Methoden sind effektiv und lassen die überflüssigen Pfunde rasch schwinden; sie verbessern die metabolischen Parameter, sind aber nur bei schwerer Adipositas indiziert und verhältnismäßig wenigen Personen dieses Kollektivs zugänglich.
Sharma begrüßte es, dass mit Liraglutid 3mg (Saxenda®) eine therapeutische Lücke geschlossen wird. Das GLP1-Analogon ergänzt die kalorienreduzierte Ernährung und vermehrte die körperliche Aktivität durch seinen Einfluss auf spezifische Rezeptoren im Gehirn, am Pankreas und im Magen-Darm-Trakt. Dabei wird der Appetit reguliert, die Steigerung des Sättigungsgefühls und der reduziertem Hunger führen zu einer geringeren Nahrungsaufnahme. Verstärkt wird dies durch eine verzögerte Magenentleerung.
Die genetische Ausstattung wird sehr häufig für die Adipositas verantwortlich gemacht, führte Sharma aus, aber jedes einzelne Gen hat nur sehr geringen Einfluss auf das Körpergewicht. Allein die Summe des veränderten Genpools kann zu relevanten Veränderungen führen. Viel größere Einwirkung auf die Gewichtszunahme scheint von der Epigenetik auszugehen, die sich innerhalb kürzester Zeit an das menschliche Verhalten und Erleben adaptiert. So wäre es durchaus vorstellbar, dass die enorme Gewichtszunahme innerhalb der Bevölkerung weltweit den Hungersnöten der vorangegangen Kriegsgenerationen geschuldet ist, weil sich deren Mangelerleben epigenetisch gefestigt hat.
Die neurophysiologischen Mechanismen im Hypothalamus streben immer wieder das jemals erreichte maximale Körpergewicht an, und weil Liraglutid 3 mg zahlreiche GLP1-Rezeptoren am Hypothalamus adressiert, findet dort eine zentral angreifende Therapie statt. Sharma zitierte die SCALE-Studie Obesity an Prediabetes, deren Teilnehmer durch Liraglutid 3 mg nach 56 Wochen einen durchschnittlichen Gewichtsverlust von acht Prozent erreichten. In der Plazebogruppe gelang dies nur 2,6 Prozent. In der Verumgruppe verloren 63,5 Prozent mindestens fünf Prozent des Ausgangsgewichts und bei 32,8 Prozent wurde die Gewichtsreduktion von 10 Prozent und mehr registriert.