CDU-Politiker will, dass Übergewichtige mehr zahlen
Nach Ansicht des Bundestagsabgeordneten Marco Wanderwitz leben Dicke bewusst ungesund; dafür sollten sie finanziell zur Verantwortung gezogen werden.
Es war tatsächlich nur ein schlechter Versuch, das politische Sommerloch zu stopfen, den der CDU-Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz (Wahlkreis Chemnitzer Umland/Erzgebirgkreis II) da kürzlich unternahm.
Nicht nur der Mediziner schüttelt ob dieser Forderung den Kopf, auch der Jurist fragt sich: Ist der Mann noch bei Sinnen? Kontrollierte Stimmungsmache gegen Dicke? Oder ist alles nur der Profilierungssucht eines Hinterbänklers geschuldet? Ich glaube: von allem etwas.
Richtig ist: Die Adipositas, also das krankhafte Übergewicht mit einem Body Mass Index (BMI) von über 30 kg/m2, ist eines der komplexesten Krankheitsbilder unserer Zeit. Die Epidemie breitet sich insbesondere in den westlichen Industrienationen mit atemberaubender Geschwindigkeit aus, eine Lösung des Problems ist nicht in Sicht. Entstehung und Entwicklung der Krankheit (oft schon im Kindesalter) hängen von vielen Faktoren ab: Genetische Dispositionen, Störungen im Stoffwechsel, Hormonelle Ursachen, Fehlernährung und Bewegungsmangel gehören dazu.
Den Betroffenen den Schwarzen Peter zuzuschieben greift also viel zu kurz. Genauso wenig wie der Krebspatient die Verantwortung für sein Pankreaskarzinom trägt, genauso wenig ist der adipöse Patient schuld an seiner Situation.
Rechtlich ist die Forderung deshalb nicht haltbar, eine Norm dieses Inhalts juristisch nicht umsetzbar. Das Gesetz anerkennt zwar den Umstand, dass man sich eine Krankheit vorsätzlich zuziehen kann (§ 52 Absatz 1 SGB V), Rechtsprechung und Literatur haben einer extensiven Auslegung der entsprechenden Vorschrift aber schon frühzeitig und dabei sehr entschlossen einen Riegel vorgeschoben (siehe z.B. Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 52, Rn. 3ff m.w.N.; Krauskopf, Kommentar zur Sozialen Krankenversicherung, § 52, Rn. 4): Vorsatz (mindestens in Form einer billigenden Inkaufnahme) wird in Fällen bloßer gesundheitsschädlicher Lebensführung (exzessives Rauchen, Alkoholabusus, übermäßige Nahrungsaufnahme) regelmäßig nicht angenommen.
Höchst problematisch gestaltet sich weiterhin der Umstand, dass eine steuer- oder beitragsrechtliche Sonderbehandlung einer Bevölkerungsgruppe die Büchse der Pandora endgültig öffnen würde: Die Beteiligung eines Drogensüchtigen, der sich mit Absicht Heroin in die Vene spritzt, an den Heilbehandlungskosten wird vielleicht noch zustimmendes Kopfnicken hervorrufen, spätestens bei der Abgrenzung zwischen einer gesunden zu einer ungesunden Ernährung dürfte es jedoch zu unlösbaren, ja gerade absurden Abgrenzungsfragen kommen: Ist Butter noch ok, wenn ja, in welcher Menge? Was ist mit Zucker und – dem oft als Verursacher von diversen Herz- & Kreislauferkrankungen bezichtigten – dem Salz?
Schließlich – und auch hier irrt der ostdeutsche Abgeordnete in beängstigender Art und Weise – lässt das Gewicht eines Menschen keine Rückschlüsse auf dessen Gesundheitszustand zu.
Ein Kommentar von Rechtsanwalt Dipl.-Jur. Tim C. Werner, Werner Rechtsanwälte, Frankfurt am Main