Bei adipösen Menschen Stigmatisierung vermeiden und Adhärenz fördern
Die Prävalenz der chronischen Erkrankung Adipositas nimmt weltweit zu. Einfühlsames Verständnis für diesen Personenkreis wird immer wichtiger, nicht nur vom sozialen Umfeld, sondern vor allem von den behandelnden Ärzten. Herabwürdigende Blicke oder verletzende Bemerkungen verursachen bei diesen Menschen oft einer Herabsetzung des Selbstwertgefühls mit Konsequenzen für das seelische Erleben und die Psyche dieses Kollektivs.
Dieser Appell richtet sich auch an die behandelnden Ärzte von stark übergewichtigen und adipösen Personen, keine negativen Gefühle bei diesen Patienten auszulösen, weil dies bei den oft psychisch ohnehin belasteten Menschen eine Depressivität auslösen oder verstärken kann. Zweifelt das soziale Umfeld und selbst die Ärzteschaft an der tatsächlichen Motivation adipöser Menschen zum Abnehmen und dem Erreichen einer relevanten Gewichtsreduktion, erhöht dies die Hürden für den Betroffenen sein angestrebtes Ziel zu erreichen, und vertiefen die Befürchtungen, ein erreichtes Ziel auch langfristig halten zu können.
Es erleichtert die Patienten, wenn ihnen eine realistisch erreichbare Vorgabe mitgeteilt wird, wie beispielsweise eine 10-prozentige Reduktion des Ausgangsgewichts pro Jahr, was weniger beängstigt als die Vorgabe von 30 bis 40 kg in kürzestmöglichem Zeitraum.
Nicht nur der gemessene BMI (Body-Mass-Index) darf zur alleinigen Bewertung des Gesundheitszustands eines Übergewichtigen herangezogen werden. Aussagekräftiger sind die funktionellen Einschränkungen sowie die diagnostizierten Folge- und Begleiterkrankungen. Dazu gehören metabolische und mechanische Veränderungen, physische und psychische Belastungen. Nahezu alle Organe und Strukturen des menschlichen Körpers können davon betroffen sein. Häufige bis sehr häufige Folge- und Begleiterkrankungen werden für das Herz-Kreislaufsystem nachgewiesen. Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörung und chronische Entzündung sind relevante Risiken für koronare Herzkrankheit, Schlaganfall, Herzinsuffizienz und Lungenerkrankung. Typ 2-Diabetes oder Thrombosen, Asthma, Fettleber, Gallensteine und Arthrosen gehören zum Spektrum der Folgeerkrankungen.
Im Gehirn liegt das Zentrum der Gewichtsregulation, gleichzeitig ist es auch der Sitz von sinnlicher Freude und der Lust am Genießen. Immer wieder kann es vorkommen, dass eine Seite überwiegt und die ausgeglichene Balance von Sollwert und Ist-Wert gestört wird. Bei übergewichtigen und adipösen Menschen entsteht eine chronische systemische Entzündung, die von den Fettzellen ausgeht. Dabei geht das Leptin, ein Hormon, das normalerweise die Sättigung und Sattheit signalisiert, zurück. Dann überwiegen die Sensoren des „emotional brain“ gegenüber der kognitiven Sensorik. Vergleichbar ist dies mit einem geschlossenen Kreislauf, bei der ein Sollwert eingestellt ist (z.B. für Hunger) und der Istwert von äußeren Bedingungen verstellt wird. Bei Adipösen kann der Sollwert von dauerhaft erhöhter Nahrungsaufnahme verstellt sein, und das kann nur schwer zurück reguliert werden. Es resultiert eine dauerhaft exzessive Nahrungsaufnahme und Adipositas, die als chronifizierte und entzündliche Erkrankung einer dauerhaften Behandlung bedarf. Die Therapie der Betroffenen ist eine Anforderung an die Solidargemeinschaft, die in allen Lebensbereichen Vorteile für die Gesellschaft haben wird.