Adipositas und Gestationsdiabetes: höchster Prädiktor für Übergewicht des Kindes
Diabetes in der Schwangerschaft ist ein Risiko für Mutter und das ungeborene Kind. Die Pathophysiologie erklärt sich aus der physiologischen Insulinresistenz der Schwangeren, durch die der Substratfluss zum Fetus optimiert wird. Eine zusätzliche – unerwünschte – Insulinresistenz kommt aus dem Fettgewebe, sagte Privatdozent Martin Füchtenbusch aus München anlässlich des 5. Sachsenhäuser Diabetessymposium in Frankfurt unter der Leitung von Professor Kristian Rett. Kommt es zu einer intrauterinen Hyperglykämie, auf die der Fetus mit einer Betazellhyperplasie und fetalen Hyperinsulinämie reagiert, entwickelt sich die Kaskade der sogenannten Substratgesteuerten Teratogenese mit einem erhöhten Risiko diverser frühkindlicher Schäden.
Vergleichbar mit der Gewichtsentwicklung in der Bevölkerung sind immer mehr werdende Mütter übergewichtig. Entsteht daraus ein Schwangerschaftsdiabetes ist die Rate der Fehlgeburten dreifach erhöht, das Kind im Mutterleib bildet eine Makrosomie aus, und das Risiko für ein metabolisches Syndrom ist für Mutter und Kind enorm hoch. Frühgeburtlichkeit, sectio caesarea und weitere neonatale Komplikationen sind zu erwarten, insbesondere dann, wenn schon früh ein Diabetes (I. bis II. Trimenon) entdeckt wird. Dann ergibt sich ein hohes Risiko für eine Insulinpflicht.
Ausgehend präpartalen von BMI hat das Institut of medicine Empfehlungen für die individuelle Gewichtzunahme während der Schwangerschaft ausgesprochen, sagte Füchtenbusch, die klinische Realität zeigt aber die ausgeprägtesten Gewichtszunahmen der Schwangeren in diesem Zeitraum.
Adipositas ist nach neuesten Erkenntnissen der stärkste Prädiktor für ein späteres Übergewicht des Kindes. Ein probates Mittel dies zu verhindern sei konsequentes Stillen über mindestens sechs Monate. So ist der protektive Effekt des Stillens auf die Gewichtsnormalisierung des Säuglings eindeutig und bis über zehn Jahre nachweisbar.
Wichtig ist ausreichende Bewegung für die werdende Mutter, die täglich mindestens 30 Minuten körperlich aktiv sein soll. Damit werde das Risiko eines Gestationsdiabetes um 24 Prozent reduziert.
Übergewicht und Gestationsdiabetes werden auch durch Schlafmangel ungünstig beeinflußt. Es kommt bei 41 Prozent zu ausgeprägter Tagesmüdigkeit, die sportliche Aktivitäten wiederum verhindert. Von 64 Prozent wird die Schlafqualität beklagt und 25 Prozent beginnen während der SS zu schnarchen. Mehr als die Hälfte geben eine zu kurze Schlafdauer an, die nach Füchtenbusch die Glukosewerte um vier Prozent erhöht, wenn nur eine Stunde zu wenig geschlafen wird.
Übergewicht und Adipositas, die in einem Gestationsdiabetes münden, erhöhen die Wahrscheinlichkeit für einen späteren Typ 2-Diabetes der Mutter um 64 Prozent.
Frauenärzte haben einen präventiven Auftrag, der mit hohem Aufwand verbunden und praktisch kaum umsetzbar ist, kommentierte Dr. Anke Reitter vom Sachsenhäuser Krankenhaus die Situation mit stark übergewichtigen und von Diabetes bedrohten Schwangeren. Ein sensibles Thema sei der erst seit 2012 bei Schwangeren durchgeführte Glukose-Toleranz-Test, der immer noch umstritten sei und dessen Grenzwerte zwar festgelegt sind, aber nicht konsequent umgesetzt werden. Jede Form des Diabetes in der Schwangerschaft sei eine interdiziplinäre Aufgabe für Gynäkologen, Diabetologen, Internisten sowie Geburtshelfer und Pädiater.
Gastgeber Prof. Kristian Rett stellte eigene Daten aus dem Sachsenhäuser MVZ vor. Dort waren trotz leitliniengerechter Diagnostik (oraler 75g-Glukosetoleranztest (oGTT) in der 24. Woche) und Therapie des Gestationsdiabetes im vergangenen Jahr von 100 Babys 9 mit einem Geburtsgewicht von über 4.000 g (Makrosomie) zur Welt gekommen – was eigentlich verhindert werden sollte. Er wies wie Dr. Füchtenbusch darauf hin, daß mütterliche Fettleibigkeit ein stärkerer Makrosomie-Prädiktor ist, als der oGTT. So wäre es in 8 der 9 Fälle möglich gewesen, das Makrosomie-Risiko anhand eines einfachen scores aus Größe und Gewicht, Zahl der vorangegangenen Schwangerschaften und Nüchtern-Blutzucker vorherzusagen. Der oGTT komme laut Rett viel zu spät, um die Substrat-gesteuerte Teratogenese noch entscheidend zu beeinflussen. Zur allgemeinen Überraschung legte er dar, daß die allgemein anerkannten oGTT Grenzwerte „nur“ auf einer Beobachtungsstudie beruhen (HAPO “Hyperglycemia and Adverse Pregnancy Outcome”) und damit streng genommen gar nicht evidenzbasiert sind. Zudem hat die HAPO Studie gezeigt, daß es zwischen den Blutzuckerwerten der Mutter einerseits und den kindlichen und mütterlichen Komplikationen andererseits einen linearen Zusammenhang gibt – und keinen Grenzwert -. Ein möglicher Ausweg aus dem Dilemma könnte die frühzeitige kontinuierliche Glukosemessung unter Alltagsbedingungen sein – was allerdings nur im Rahmen von Studien möglich sei.