Adipositas Stiftung gegen Diskriminierung
Kürzlich sagte der Chef der Jungen Gruppe in der Unionsfraktion, Marco Wanderwitz, gegenüber der Bild-Zeitung: „Es muss die Frage erlaubt sein, ob die immensen Kosten, die zum Beispiel durch übermäßigen Esskonsum entstehen, dauerhaft aus dem solidarischen System beglichen werden können. Ich halte es für sinnvoll, dass bewusst ungesund lebende Menschen eine eigene Verantwortung auch in finanzieller Hinsicht tragen.“
Die Adipositas Stiftung Deutschland hat sich zum Ziel gesetzt, die soziale Diskriminierung von Menschen mit Übergewicht und Fettleibigkeit (Adipositas) nicht nur offen anzusprechen, sondern auch Vorbehalten der Öffentlichkeit gegenüber den Adipösen entgegenzuwirken. Jeder, der beruflich oder privat mit Menschen zu tun hat, die unter Adipositas leiden, versteht die Schwierigkeiten und Vorurteile, denen sich diese Menschen im täglichen Leben ausgesetzt fühlen. Was werden diese immerhin fast 60 Prozent der Allgemeinbevölkerung denken, wenn Herr Wanderwitz sie jetzt auch noch finanziell bestrafen will?
Andererseits ist die politische Unterstützung zur Prävention und Behandlung der Adipositas in Deutschland gering. Beispielsweise hat das Solidarsystem noch nie Medikamente zur Therapie der Adipositas bezahlt, und auf ein Präventionsgesetz warten wir noch immer. Wir glauben deshalb, dass wir statt eine „Fettsteuer“ zu fordern lieber koordiniert in Adipositas-Präventionsprogramme und Forschungsprojekte (hier gibt es in den letzten Jahren erfreuliche Lichtblicke in der Unterstützung der Adipositasforschung in Deutschland) investieren sollten, die letztendlich helfen die vererblichen Faktoren der Adipositas zu verstehen. Bisher sind wir, trotz neuer Forschungsergebnisse, noch weit davon entfernt sagen zu können, dass Adipositas allein durch eine „bewusst ungesunde Lebensweise“ verursacht wird.
Natürlich würde es ohne Überernährung und Bewegungsmangel wahrscheinlich kein Adipositasproblem geben, aber ist das eine Schuldfrage? Es gibt starke (manche Zwillingsstudien sagen bis zu 70 Prozent) genetische Faktoren, die das Risiko für die Entstehung der Adipositas erhöhen. Wir beginnen gerade erst zu verstehen, welche Gene unseren Appetit, unser Sättigungsgefühl, die Freude am Essen, den Energieumsatz und andere Einflussfaktoren der Adipositas steuern. Mit der Forderung nach einer finanziellen Beteiligung würden diese Betroffenen doppelt bestraft. Außerdem, wer entscheidet denn, was gesunde Lebensweise, gesunde Nahrungsmittel etc. sind und auf welcher Basis?
Die Diskussion über das Adipositas-Problem ist nur ein weiterer Beleg für die Vorurteile, die wir Menschen mit Adipositas entgegen bringen. Eine ähnliche Diskussion wäre undenkbar, wenn Menschen mit familiär erhöhtem Krebsrisiko eine eigene Verantwortung auch in finanzieller Hinsicht tragen sollten. Sollten Menschen, die aufgrund einer körperlich aktiveren (gesunden) Lebensweise ein erhöhtes Risiko für Sportverletzungen haben, auch zusätzlich bezahlen? Treffen diese Kosten die Solidargemeinschaft gerechter?
Die Adipositas Stiftung Deutschland möchte Menschen der krankhaften Adipositas eine Stimme geben und sich ausdrücklich gegen die Aussagen von Herrn Wanderwitz stellen. Wir werden vielmehr diese und ähnliche Diskussionen nutzen, um Betroffene, Politiker und Menschen, die beruflich oder privat mit Adipositas zu tun haben zusammen bringen, um die Strategien zur Prävention und Behandlung der Adipositas zu verbessern.